Meister der Leica
Artikel von Heinrich Stöckler, Wetzlar (Redaktion «Leica Fotografie», 02/1961)
Die Adresse verdanke ich dem jungen Hans W. Silvester, der sie mir mit vielen guten Empfehlungen gegeben hatte. So rief ich gleich nach der Ankunft vom Züricher Hauptbahnhof aus an und hatte Glück.
Es war ein nebliger Novembermorgen. Die Taxifahrt nach Witikon war weit und führte auf halber Höhe über dem See zum Stadtrand, besser gesagt zu einem Dorf bei Zürich, das vor nicht allzu langer Zeit eingemeindet wurde. Vor einem kleinen alten Bauernhaus hielten wir, und schon kam der Hausherr herausgestürzt und hiess mich willkommen.
Dieser Besuch war in jeder Hinsicht erfreulich. Die Familie Opitz bewohnt das obere Stockwerk, das man über eine steile Treppe erreicht und war gleich vollzählig zu meinem Empfang versammelt: Der Hausherr in zünftigen Cordhosen und Vollbart, seine sympathische Frau und das siebenjährige Töchterchen Elisabeth, das gerade fertig gemacht wurde, um zur Schule zu gehen. Das holzgetäfelte Wohnzimmer, das man durch die Küche betritt, die mollige Wärme des Kachelofens, die natürliche Atmosphäre, die um diese weltoffenen, urbanen Menschen ist und — last but not least — der gute Kaffee und die Basler Leckerli dazu sorgten gleich für die richtigen Kontakte.
Herr Opitz erzählte, wie er in Les-Saintes-Maries-de-la-Mer in der Provence den jungen Silvester kennenlernte, als sie gemeinsam auf dem alljährlich dort stattfindenden grossen Fest der Zigeuner zu Ehren ihrer Schutzheiligen Aufnahmen machten. Es war dies weitaus mehr als ein oberflächliches Sich-Kennen-Lernen, eine Wahlverwandschaft zweier Menschen, die sich offenbar viel zu geben hatten. Dann kamen wir auf seinen fotografischen Werdegang zu sprechen, und ich erfuhr, dass der Weg vom Maler und Mosaik-Künstler zur Fotografie durchaus legal sein kann. Der heute 45jährige hat sich schon sehr früh mit künstlerischen Dingen beschäftigt und seinen Horizont auf vielen Auslandsreisen geweitet. Nach der Malerei fand er im Mosaik die ihm gemässe Ausdrucksform. Er sucht selbst die farbigen Steine zusammen und schneidet sie auf die richtige Grösse zu. Seine Arbeiten sind sehr geschätzt, und die Stadt Zürich hat ihm schon manchen Auftrag zur Ausschmückung von Kirchen und Schulen übertragen.
Wie er zur Fotografie und zur Leica kam? Der eigentliche Anlass zur Anschaffung einer Leica war die Geburt des Töchterchens. Man wollte ganz einfach, wie jedermann, Erinnerungsbilder vom Heranwachsen des neuen Erdenbürgers machen. Was so eigentlich nur als spielerische Dokumentation gedacht war, erwies sich aber bald als ernst zu nehmendes Mittel des künstlerischen Ausdrucks, besonders als man die Leica zur Fastnacht und dem alljährlich in Zürich stattfindenden Künstlerball mitgenommen hatte. «Hier erkannte ich bald, dass man mit der Leica wesentlich mehr machen kann als Erinnerungsfotos und schöne Kinderaufnahmen, und seitdem hat mich die Beschäftigung mit dem Menschen nicht mehr losgelassen, besonders mit seinem zweiten Ich, das eben dann sichtbar wird, wenn er aus seiner Alltagsmaske heraustritt und so ist und sich so gibt, wie er vielleicht eigentlich sein möchte! » Daneben hat Opitz unzählige Fotos vom Zirkus gemacht, dessen Atmosphäre ihn so sehr faszinierte, dass er eine Zeitlang mit dem Zirkus Knie herumgereist ist, um in diese unwirkliche Welt aus Flitter und Artistik einzudringen, die ganz vom Augenblick lebt. So entstanden jene einmaligen Fotos, die schliesslich in einem Bildband des Hanns Reich Verlags ihren Niederschlag gefunden haben.
Einen Höhepunkt erlebte diese Fotografie aber in dem unerschöpflichen Thema «Fasnacht», von dem wir hier einige Kostproben bringen. Fasnacht in der Schweiz ist etwas völlig anderes als der deutsche Fasching. Man spürt hier ganz deutlich die Herkunft von mittelalterlichen, ja noch von heidnischen Überlieferungen und Strömungen, was vielleicht nirgends so deutlich sichtbar wird wie in der Basler Fasnacht.